
Während die Natur bestrebt ist, den Nachkommen den bestmöglichen Start ins Leben zu ermöglichen, scheint der Mensch dagegen alles zu unternehmen, um seinen Nachkommen das Leben zur Hölle zu machen.
Dass der Kapitalismus massive ökologische und soziale Konsequenzen nach sich zieht, die nicht mehr zu leugnen sind, sollte eigentlich mittlerweile jeder begriffen haben. Auch sollte eigentlich Konsens herrschen, dass wir nicht länger halbherzig an den Symptomen herumdoktorn, sondern endlich die Ursache beseitigen sollten.
Bleiben wir auf dem eingeschlagenen Weg, wird sich die Erde bis zum Jahr 2100 um schätzungsweise 3-4°C erwärmen. Bei einem Anstieg von „nur“ 3°C sind die Tropen bereits unbewohnbar, da der menschliche Körper dann nicht mehr in der Lage ist, sich selbst abzukühlen. Die Tropen sind die Heimat von etwa 3 Milliarden Menschen.
Bei einer Erwärmung um 4°C steigt der Meeresspiegel um etwa 1 Meter. An den Küsten leben ungefähr 1 Milliarde Menschen. Insgesamt müsste knapp die Hälfte der aktuellen Weltbevölkerung die Heimat dauerhaft verlassen1.
Die Hälfte der Menschheit würde also versuchen, anderswo eine Heimat zu finden. Europa und die USA befestigen bereits heute ihre Außengrenzen. Menschenrechtsverletzungen sind sowohl in den USA, als auch an den EU-Außengrenzen keine Seltenheit. Weil ein paar 10.000 Menschen jedes Jahr versuchen, dort Zuflucht vor Krieg und Elend zu finden. Krieg und Elend werden zukünftig ganz sicher weiter zunehmen, wenn wir nicht jetzt etwas ändern. Was passiert, wenn die halbe Weltbevölkerung auf den Beinen ist? Wird dann an der EU-Außengrenze auf die verzweifelten Menschen geschossen?
Aber auch die wohlhabenden Länder werden immer stärker unter den ökologischen und sozialen Folgen des Kapitalismus leiden.
Die durch den Kapitalismus hervorgerufenen ökologischen Folgen bedrohen längst nicht mehr nur ein paar Käfer oder Lurche im Regenwald oder einige Fischarten im Amazonas. Der Kapitalismus bedroht mittlerweile auch unmittelbar unsere eigene Gesundheit, beispielsweise durch Mikroplastik, Pflanzenschutzmittel, Chemikalien und Schwermetalle in unseren Lebensmitteln, Luft- und Wasserverschmutzung.
Die planetaren Grenzen werden Jahr für Jahr massiv überschritten.
Die sozialen Folgen lassen sich ebenfalls nicht länger leugnen. Psychische Probleme durch die immer häufiger auftretenden Krisen und den Druck in Schule und Beruf nehmen stetig zu2. Die soziale Absicherung wird immer weiter abgebaut. Die Kosten für Gesundheit, Pflege und Altersvorsorge werden zunehmend privatisiert. Das Vermögen konzentriert sich zunehmend bei einigen Überreichen, während die Reallöhne bei der übrigen Bevölkerung stagnieren. Gleichzeitig werden die Kosten für die Transformation den Bürger*innen aufgebürdet, während Unternehmen und Reiche nur wenig an den Kosten beteiligt werden.
Investitionen in Infrastruktur bleiben aus, öffentliche Güter werden zunehmend privatisiert – mit steigenden Kosten für die Verbraucher. Auch regional gibt es zunehmende Ungleichheit zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Regionen (Nord-Süd/Ost-West).
Diese Folgen drohen nicht erst in der Zukunft, sondern sind bereits heute zu beobachten und durch zahlreiche Studien belegt.
Die Motive der Überreichen
Dennoch wird uns von Seiten der Überreichen versichert, dass „der freie Markt“ schon irgendwann Technologien hervorbringen wird, die alle Probleme lösen werden. Wichtig sei dabei nur, dass der Markt weiterhin „frei“ bleibe, der Kapitalismus möglichst nicht reguliert werde. Und natürlich müssten die Vermögen der Überreichen mit möglichst geringen Abgaben belegt werden, da sonst die nötigen Investitionen behindert werden. Die Kosten für die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit dürfen den Unternehmen natürlich keinesfalls aufgebürdet werden, da dies sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirke. Statt auf gesetzliche Bestimmungen setze man auf „freiwillige Selbstverpflichtungen“.
Wenn die Überreichen und ihre Lobbyorganisationen ihre „Lösungen“ vorstellen geht es ihnen jedoch nicht um Deutschland und die Bewältigung von Krisen. Es geht ihnen auch nicht um die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit oder Armut.
Es geht ihnen einzig und allein um die Bewahrung des Status Quo. Es geht ihnen um den Erhalt oder gar den Ausbau ihrer Macht. Um Macht, die nicht demokratisch ist, sondern feudal. Weil über 70% der Milliardäre in Deutschland ihr Vermögen nicht erarbeitet, sondern durch Erbe erlangt haben3.
Es geht ihnen um die Ablenkung von der Tatsache, dass die Vermögenden in Deutschland völlig zu Unrecht zahlreiche Privilegien und Vorteile genießen. Und dass sich dadurch das Vermögen zunehmend in den Händen einiger weniger Überreichen konzentriert.
Und dass Einkommen bzw. Geld eben nicht durch Arbeit oder „Leistung“ entsteht. Denn der überwiegende Teil der Arbeitnehmer*innen erhält als Lohn gerade eben so viel (oder wenig), dass man jeden Tag aufs Neue in der Lage ist, zu arbeiten. Ein Vermögensaufbau des arbeitenden Teils der Bevölkerung ist – entgegen anders lautender Versprechungen – nicht gewünscht.
(Staats)Schulden sind Gewinne für die Überreichen
Der zentrale Akteur im Kapitalismus der ist Schuldner. Denn bei jeder Kreditvergabe wird Geld aus dem Nichts geschaffen. Geld, welches vorher gar nicht existierte.
Glaubt ihr nicht? Stimmt aber. Das nennt man „Kreditgeldschöpfung“ oder „Giralgeldschöpfung4“.
Wie funktioniert das?
Ihr möchtet ein Haus kaufen oder bauen und wollt einen Kredit über 500.000€ haben.
Vorausgesetzt ihr seid kreditwürdig, bekommt ihr den Kredit. Darüber, ob ihr kreditwürdig seid, entscheidet allein die Bank auf Basis eurer Bonität, die von privatwirtschaftlichen Unternehmen, wie der Schufa beurteilt wird.
Die Bank schreibt euch also 500.000€ gut. Dieses Geld existierte vorher nicht. Es gibt keinen Gegenwert, wie Spareinlagen anderer Bankkunden.
Zunächst existiert dieses Geld auch nur als sogenanntes „Buchgeld“. Während der Tilgung zahlt ihr den Kredit in Höhe von 500.000€ (plus Zinsen natürlich) zurück. Das Buchgeld verschwindet wieder. Das Haus als Vermögenswert bleibt jedoch bestehen. Auch die Bank verbucht die Zinsen auf der Habenseite, die Handwerker und der Verkäufer des Hauses/Baugrundstücks haben ebenfalls Geld erhalten. Das Buchgeld mag technisch durch die Rückzahlung verschwunden sein, der durch den Kredit geschaffene Wert bleibt im System erhalten.
Und genau so entsteht Wachstum bzw. der Gewinn der Überreichen. Die Schulden der einen sind die Profite der anderen. Und da sich irgendwann die Vorstellung durchgesetzt hat, dass auch Staaten sich Gelder bei privaten Kapitalgebern besorgen müssen, sind auch die Staatsschulden die Profite einiger weniger Überreicher. Nicht ohne Grund sind die Staaten mit der höchsten Staatsverschuldung gleichzeitig die Staaten mit den höchsten Privatvermögen. Das bedeutet, die privaten Vermögen wachsen auch, weil Staaten sich bei privaten Geldgebern verschulden.
Und sich von diesen privaten Geldgebern zunehmend abhängig machen.
Für steigende Gewinne und steigendes Wachstum ist eine ständige Ausweitung der Verschuldung notwendig. Gleichzeitig müssen die Schulden zurückgezahlt werden – selbstverständlich mit Zinsen. Es muss also mehr zurückgezahlt werden, als vorher als Kredit ausgezahlt wurde. Da Staaten sich mittlerweile auf dem Kapitalmarkt verschulden, müssen sie die gleichen Renditeerwartungen erfüllen, wie Unternehmen oder Privatpersonen. Werden die Schulden zu hoch oder ist das Wirtschaftswachstum (die Rendite) zu gering, werden Staaten genötigt, Staatseigentum zu privatisieren, um die Schulden abzubauen. Außerdem werden viele Projekte nicht finanzierbar, weil sie nicht mit der Renditeerwartung der privaten Geldgeber übereinstimmen.
Dazu gehören meist Sozialausgaben wie:
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Arbeitslosenversicherung
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Bildung
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Pflege
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Infrastruktur
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Umwelt- und Klimaschutz
Demokratischen Staaten wird so der Gestaltungsspielraum genommen. Sie können nicht mehr frei entscheiden, was finanziert wird. Darüber entscheiden private Geldgeber nach streng marktwirtschaftlichen Kriterien. Im Zweifel dreht der private Kapitalmarkt den Geldhahn einfach ab oder diktiert knallhart seine Bedingungen, wie während der Eurokrise in Griechenland, als sich die Privatwirtschaft eiskalt die profitablen Geschäftsfelder unter den Nagel gerissen hat.
Kapitalanlagen sind jedoch nicht nur ein Machtfaktor. Sie tragen auch ganz massiv dazu bei, dass sich Vermögen in den Händen einiger Überreicher konzentriert: schließlich finanziert so die Allgemeinheit die Gewinne. Der Staat ist eine Profitquelle für die Reichen.
Da das Geld der Überreichen zunehmend in Finanzprodukte investiert wird, fehlt es in der Realwirtschaft. Das bedeutet, dass nicht diejenigen, die Konsumbedürfnisse haben, das Geld bekommen, sondern diejenigen, die ihre grundlegenden Konsumbedürfnisse längst befriedigt haben. Und so kommt das Geld nicht wirklich in Umlauf, sondern kommt nur einigen wenigen zugute.
Den Gewinn schöpfen nur die oberen 10 Prozent ab.
Volkswirtschaftlich wird das jedoch scheinbar nicht gesehen. Stattdessen spricht man von „Neid“5, wenn irgendjemand es wagt, Kritik zu üben.
Die heilige Kuh im Kapitalismus
Wachstum ist die heilige Kuh im Kapitalismus. Und diese Kuh ist so heilig, dass sie gar nicht hinterfragt werden darf. Tut man es dennoch oder wagt anderweitig Kritik am Kapitalismus, wird man als Kommunist, Sozialist, Ökofaschist oder – ganz frisch – als Mensch diffamiert, der in der Tradition der RAF steht. Das kennen wir aber schon von anderer Stelle: Klimaaktivisten wurden auch schon kriminalisiert oder als Terroristen bezeichnet. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den durch den Kapitalismus verursachten Problemen wird so im Keim erstickt.
Um sich selbst nicht als Ideolog*innen ohne haltbare Argumente zu entlarven, beschränken sich die Reichen darauf, die üblichen neoliberalen und längst widerlegten Standardphrasen zum Besten zu geben und nach unten zu treten. Dabei kümmern sie sich wie üblich nicht um Fakten, sondern stellen lediglich Behauptungen in den Raum, die einer Überprüfung meist nicht standhalten. Aber es geht auch nicht um Fakten. Es geht um die Verbreitung ihrer neoliberalen Propaganda. Darum, das Märchen von „Jeder kann es schaffen“ und vom „fleißigem Leistungsträger“ zu verbreiten. Dabei verschweigen sie natürlich, dass die ganzen Privilegien nur ihnen selbst nutzen. Der Großteil der Bevölkerung geht leer aus.
Und es geht ihnen darum, Kontrolle von Vermögenden zu verhindern.
Sonderbehandlung für Reiche
Eine amtliche Vermögensstatistik gibt es in Deutschland aktuell nicht. Die Einführung wird konsequent durch die Überreichen verhindert. Natürlich mit den üblichen Scheinargumenten, wie Arbeitsplatzverlust, Abwanderung von Vermögen, der Kommunismus-Keule oder dem Vorwurf, man wolle „Reiche enteignen“.
Eine Überprüfung der Vermögenswerte von Reichen hat aber natürlich rein gar nichts mit „Kommunismus“ oder „Enteignung“ zu tun. Denn nur, wenn klar ist, über welche Vermögen die Reichen verfügen und welches Einkommen sie aus diesem Vermögen erwirtschaften, kann die Steuerlast festgelegt werden. Momentan ist dies nahezu unmöglich, da die angenommenen Vermögenswerte der Reichen lediglich auf Schätzungen beruhen und somit auch völlig unklar ist, über welches Einkommen die Reichen tatsächlich verfügen6. Wieso wird hier bei den Reichen eine Ausnahme gemacht? Ich als Arbeitnehmer bin ja auch verpflichtet, mein gesamtes Einkommen anzugeben und darauf Steuern und Sozialabgaben zu zahlen, die „Vermögen“ von Bürgergeldempfänger*innen werden mehrmals im Jahr routinemäßig überprüft.
Über die Einkommen der meisten Bürger*innen weiß der Staat faktisch alles. Nur über die Einkommen und Vermögen der Überreichen weiß der Staat fast nichts.
Sollten zumindest einige Vermögenswerte der Reichen bekannt sein, werden Einkünfte daraus auch noch ganz anders behandelt, als Einkünfte aus Erwerbstätigkeit. Auf Kapitalerträge wird nur ein Steuersatz von 25% erhoben, jedoch keine Einkommenssteuer oder gar Sozialabgaben in die gesetzlichen Versicherungssysteme. Auf Mieten wird zwar Einkommenssteuer erhoben, aber auch hier keine Sozialabgaben. Es sei denn, die Immobilien werden in eine GmbH überführt. Dann sind die Einkünfte daraus Kapitalerträge. Dann wird werden wieder nur 25% Kapitalertragssteuer fällig. Sozialabgaben werden generell ab einer gewissen Einkommenshöhe nicht fällig – oder falls doch, nur bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze. Das führt dazu, dass mein Einkommen, welches ich nur aus Erwerbstätigkeit generiere, mit 30% Abgaben belegt wird, das gesamte Einkommen der Reichen hingegen im Schnitt nur mit 24%.
Es gibt für mich wirklich keine nachvollziehbare Begründung, warum sich Reiche und all die anderen Gruppen (Beamte, Richter, Soldaten, Selbständige, Politiker, Gutverdiener) aus der auf dem Solidarprinzip beruhenden Finanzierung von Gesundheit, Rente, Pflege und Grundsicherung ausklinken dürfen. Das Solidarprinzip funktioniert schließlich nur, wenn alle – auch die Reichen und Gutverdiener gleichermaßen einzahlen und allen im Alter, bei Krankheit, bei Arbeitslosigkeit oder einer anderen Krise ein Leben in Würde ermöglicht wird. Es darf keine Zwei-Klassen-Medizin oder Zwei-Klassen-Pflege geben. Denn jede*r Bürger*in trägt zum Wohlstand in Deutschland bei (Jaja, es gibt auch einige Totalverweigerer. Schätzungsweise 16.000 Personen. Das sind 0,0189% der Gesamtbevölkerung).
Ausnahmen oder Beitragsbemessungsgrenzen bei den gesetzlichen Sozialversicherungen sind unbegründet und ungerecht. Die gängige Argumentation, dass die Reichen ja angeblich einen Großteil zu den Staatsfinanzen beitragen, läuft ins Leere. Für mich steht nicht so sehr die Frage im Vordergrund, wie viel des Einkommens an den Staat geht, sondern wie groß der Teil ist, den man behalten darf. Und dieser Teil wäre bei den Überreichen auch bei prozentual gleicher Belastung noch um ein vielfaches höher, als der Teil, den ich von meinem Einkommen behalten darf. Eine ungerechte Belastung der Überreichen kann ich hier beim besten Willen nicht erkennen.
Erbschaften müssen wie Einkommen behandelt werden
Die meisten Reichen, nämlich 71% der Milliardäre in Deutschland, haben das Vermögen, aus dem sie einen Großteil ihres Einkommens erzielen, eben nicht selbst erwirtschaftet, sondern geerbt7. Und meist haben diese Erben bereits jede Möglichkeit genutzt, die Erbschaftssteuer zu umgehen. Das Argument der Doppelbesteuerung wird häufig gegen die Erbschaftssteuer angeführt. Die Vorfahren haben ja auf das Vermögen bereits in der Vergangenheit Steuern gezahlt. Deshalb gibt es mittlerweile bei der Erbschaftssteuer auch so viele Ausnahmen, dass bei großen Erbschaften meist kaum Steuern, bei kleineren hingegen hohe Steuern fällig werden8.
Sieht man dieses Vermögen jedoch als Einkommen für die Erben an, handelt es sich bei der Erbschaft also um ein – wenn überhaupt – um ein nur gering besteuertes Einkommen. Dieses Einkommen kann man also durchaus als ein leistungsloses Einkommen bezeichnen. Zuerst geerbt, dann dadurch Folge-Einkommen dadurch „erwirtschaftet“, dass Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitskraft dem Unternehmen zur Verfügung stellen. Und auf das daraus generierte Einkommen (z.B. über Aktienfonds) werden wiederum keine Sozialabgaben oder Einkommenssteuer fällig, sondern lediglich Kapitalertragssteuer.
Wenn man in jungen Jahren ein Vermögen erbt, kann man nur vom Ertrag leben, welches man mit diesem Vermögen generiert. Ohne jemals wirklich selbst zu arbeiten. Dazu gibt es für diese Menschen dann noch zahlreiche legalen und illegalen Methoden, um die Abgaben an den Staat zu senken.
Machtfaktor Vermögen
Reiche Menschen, die nicht arbeiten, nennt man „Leistungsträger“ oder „Privatier“. Ganz egal, ob der Reichtum selbst erarbeitet oder geerbt wurde.
Arme Menschen, die nicht arbeiten (können) nennt man faul oder Schmarotzer. Ganz egal, ob die Armut selbst gewählt oder (wie meistens) Schicksal ist.
Wenn Überreiche den Armen vorwerfen „faul“ zu sein, schieben sie die Verantwortung von sich weg. Denn dann liegt die Armut des Einzelnen nicht am Reichtum einiger weniger „Leistungsträger“.
Wenn man behauptet, die Armen seien selbst an ihrer Armut schuld, lässt sich nämlich viel besser nach unten treten. In Richtung der Menschen, die keine Lobby haben. In Richtung der Menschen, die alle Hände voll zu tun haben, um einfach nur irgendwie über die Runden zu kommen.
Und weil diese Menschen damit beschäftigt sind, über die Runden zu kommen, können sie sich nicht wehren. Weder gegen ihre Armut, noch gegen die Angriffe der Reichen, die die Armen scheinbar noch ärmer sehen wollen.
Um das Märchen des „fleißigen“ Reichen und des „faulen“ Armen am Leben zu erhalten und weiter zu verbreiten, nutzen die Reichen ihre Vermögen. Sie gründen und finanzieren Lobbyorganisationen, kaufen Medien, betreiben „soziale“ Netzwerke. So verbreiten sie ihre neoliberale oder gar libertäre Propaganda. Und sie erkaufen sich mit ihrem Vermögen Zugang zur Politik und beeinflussen die politischen Prozesse maßgeblich in ihrem Sinne.
Dieser durch das Vermögen ermöglichte Zugang zur Politik ist ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor. Und diese Macht wissen die Reichen für sich zu nutzen: Seit Reagan in den USA und Thatcher in Großbritannien setzt sich weltweit der Neoliberalismus als vorherrschende kapitalistische Ideologie durch. Beschleunigt wurde die Verbreitung der neoliberalen Ideologie durch das Ende der Sowjetunion und dem vermeintlichen Ende des Kommunismus. Vermeintlich deshalb, weil m.E. der Kommunismus bisher noch nirgendwo wirklich umgesetzt wurde. Die kommunistische Idee diente bisher lediglich als Rechtfertigung für die Errichtung totalitärer Regime.
Die Kampagnen der durch die Reichen finanzierten Lobbyorganisationen führten dazu, dass die neoliberale Form des Kapitalismus mittlerweile als „alternativlos“ angesehen und von den meisten Menschen erst gar nicht hinterfragt wird.Und die Kampagnen führten dazu, dass weitgehend unbekannt ist, dass die neoliberalen Reformen nur einen einzigen messbaren Effekt hatten: Eine massiv gestiegene Ungleichheit9. Also lediglich eine zunehmende Konzentration von Vermögen in den Händen einiger weniger Reichen. Aber da die Konzentration von Vermögen bei einigen wenigen gleichzeitig auch wirtschaftliche und politische Macht bedeutet, bestimmen sie die Politik und haben gleichzeitig auch die Macht, die öffentliche Debatte zu lenken. So schaffen sie es, dass wir ständig über Geflüchtete oder Bürgergeldempfänger*innen sprechen und nicht über die demokratisch nicht legitimierte Macht der Reichen oder die wachsende Ungleichheit.
Und wir sollen auch nicht über die sozialen Folgen des Kapitalismus sprechen. Denn der Kapitalismus fordert ewiges Wachstum. Und wie wir oben bereits gelernt haben: Das Wachstum/die Profite der einen sind die Schulden der anderen. Da die Profite im Kapitalismus ständig steigen müssen, wird es auch immer einen Niedriglohnsektor geben. Denn ohne nennenswerte Ersparnisse müssen diese Menschen bei nötigen Neuanschaffungen Kredite aufnehmen. Und damit diejenigen, die im Niedriglohnsektor arbeiten müssen, nicht aufbegehren, braucht es noch eine prekäre Klasse darunter: das sind dann geflüchtete Menschen und Arbeitslose, denen noch nicht einmal das Existenzminimum zugestanden wird.
Oder anders gesagt: Im Kapitalismus muss es Verlierer geben. Damit man vor lauter Abstiegsangst nicht aufbegehrt.
Im eigenen Land, aber auch global funktioniert Kapitalismus nur, wenn es Ausbeuter und Ausgebeutete gibt.
Chancen
Ein Wandel zu einem gemeinwohlorientierten Wirtschaftssystem bedeutet keineswegs Verzicht, außer vielleicht für diejenigen, die sich seit Jahrzehnten auf Kosten von Natur und 90% der Menschheit bereichern. Für alle andern bedeutet es einen enormen Mehrwert.
Für einen echten Wandel müssen wir gar nicht „technologieoffen“ auf irgendeine Lösung des „freien“ Marktes warten. Es gibt bereits zahlreiche Technologien und Lösungsansätze. Wir sollten sie nur endlich nutzen und nicht auf die hören, die einen Vorteil aus der Zerstörung unserer Lebensgrundlage und freiheitlich-demokratischen Grundordnung ziehen.
Heute bereits verfügbare Lösungen:
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Erneuerbare Energien sind bereits heute wettbewerbsfähig bzw. billiger, als fossile Energieträger oder Kernkraft
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Technologien zur Verbesserung der Energieeffizienz für Gebäude, Energie und Verkehr existieren bereits und sind erprobt
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alternative Antriebstechnologien sind längst marktreif und den fossilen Antrieben überlegen
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klimafreundliche Heiztechnologien sind verfügbar und erprobt
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Wohnungsbaugenossenschaften und kommunaler Wohnungsbau für bezahlbaren Wohnraum, gemeinwohlorientierte Wohnungsbaupolitik
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Schließung von Steuerschlupflöchern
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Wiedereinführung der Vermögenssteuer
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Reform der Erbschaftssteuer
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CO2-Steuer mit sozialem Ausgleich
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stärkere Besteuerung nicht-erneuerbarer Ressourcen
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Abbau umweltschädlicher Subventionen
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Globale oder zumindest EU-weite Mindeststeuer für Unternehmen
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Finanztransaktionssteuer zur Dämpfung spekulativer Finanzgeschäfte
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Bürgerversicherung, in die alle Einkommensarten und Berufsgruppen einzahlen
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Stärkung der öffentlichen Gesundeitsinfrastruktur
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Gemeinwohlorientierte Krankenhausfinanzierung statt Fallpauschalen
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Bürgerrente/Erwerbstätigenversicherung für alle
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flexible Übergänge in den Ruhestand
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Einführung eines bedingungslosem Grundeinkommens
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Rekommunalisierung wichtiger Infrastruktur (Wasser, ÖPNV, Energie)
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durchlässigere Bildungswege und stärkere Förderung benachteiligter Gruppen
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schnellere Anerkennung ausländischer Qualifikationen
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Stärkung der politischen/demokratischen Bildung
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Demokratisierung der Wirtschaft, stärkere Mitbestimmung der Belegschaft in den Unternehmen
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Bürgerbeteiligung bei Stadtentwicklung
Diese Ansätze werden bereits in verschiedenen Ländern und Regionen erfolgreich praktiziert und können sich durch geringere Folgekosten sozialer Probleme, wirtschaftliche Teilhabe und nachhaltigem Wirtschaften auch finanziell lohnen.
Investitionen in Forschung
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ermöglichen Innovation und Fortschritt
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stärken die internationale Wettbewerbsfähigkeit (wobei das zukünftig keine Rolle mehr spielen sollte)
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fördern soziale Mobilität und Chancengleichheit
Investitionen in Klima- und Umweltschutz
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sichern die Lebensgrundlage für künftige Generationen
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schaffen neue Arbeitsplätze
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reduzieren die Folgekosten des Klimawandels
Investitionen in ÖPNV
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verbessern die Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen
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reduzieren Umweltbelastung, Lärmbelastung und Staus
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stärken die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen
Investitionen in soziale Gerechtigkeit
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reduzieren soziale Spannungen
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erhöhen den gesellschaftlichen Zusammenhalt
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ermöglichen mehr Menschen aktive Teilhabe
Alle Investitionen zusammen stärken die Demokratie, denn
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bessere Bildung führt zu informierten Bürgern
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soziale Sicherheit ermöglicht politische Teilhabe
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eine vernünftige Infrastruktur verbessert Zugangsmöglichkeiten
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Umweltschutz verhindert Krisen und sichert so die Handlungsfähigkeit von Politik und Gesellschaft
All diese Investitionen zeichnen sich dadurch aus, dass zwischen ihnen Wechselwirkungen bestehen. Sie begünstigen sich so gegenseitig und schaffen einen Mehrwert für alle, der über rein finanzielle Aspekte hinausgeht.
Es fehlt der politische Wille
Die Politik vertritt längst nicht mehr die Interessen der gesamten Bevölkerung, sondern nur noch die Interessen der Überreichen.
Die durch den Kapitalismus hervorgerufenen Probleme, wie Klimawandel und Umweltzerstörung, aber auch die massive Ungleichheit, bedrohen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere Lebensgrundlage gleichermaßen. Die Verwerfungen sind bereits jetzt nicht mehr zu leugnen und werden in Zukunft noch viel stärker zu Tage treten.
Lösungsansätze und Technologien zur Bewältigung unserer Probleme sind zahlreich vorhanden und erprobt. Mittel- bis langfristig können sich Investitionen in mehr soziale Gerechtigkeit sowie Klima- und Umweltschutz sogar finanziell lohnen, auch wenn kurzfristige Anschub-Investitionen nötig sind.
Die Lösungen werden jedoch durch die Überreichen und ihren Helfer*innen in Politik und Wirtschaft seit Jahren verhindert, weil diese vom Status Quo profitieren. Der Verweis auf künftige „Lösungen des Marktes“ oder „Technologieoffenheit“ dienen nur der Verzögerung dringend nötiger Maßnahmen zum Profit- und Machterhalt.
Selbst die Heranziehung von großen Privatvermögen zur Finanzierung der sozialökologischen Transformation hat nichts mit „Kommunismus“, „Ökofaschismus“ oder (wie mir kürzlich auch vorgeworfen wurde) mit „Linksterrorismus“ zu tun, sondern ist sogar durch das Grundgesetz gedeckt:
Artikel 14 GG besagt:
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Artikel 15 besagt sogar:
Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.
In Artikel 20 wird die BRD eindeutig als „demokratischer und sozialer Bundesstaat“ definiert, was soziale Ausgleichsmaßnahmen und Maßnahmen gegen die Konzentration von wirtschaftlicher und politischer Macht grundsätzlich legitimiert.
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Klimaschutzentscheidung10 betont, dass der Staat auch künftige Generationen schützen muss, was Maßnahmen zur ökologischen Transformation rechtfertigt.
Der Staat hat eine Schutzpflicht, die Grundlagen einer fairen und chancengerechten Gesellschaft auch für künftige Generationen zu erhalten. Diese Grundlagen sind durch eine extreme Vermögenskonzentration gefährdet.
Meines Erachtens lässt sich die Klimaschutzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts dahingehend erweitern, um die Konzentration von Vermögen und damit demokratisch nicht legitimierter Macht in den Händen einiger Überreicher zu bekämpfen, da die aus der Konzentration von Vermögen resultierende Machtfülle Einzelner die Chancengleichheit und freien Entfaltungsmöglichkeiten künftiger Generationen ebenfalls massiv beeinträchtigen kann. Künftige Generationen können durch die ungleiche Verteilung von wirtschaftlicher und politischer Macht in ihren Möglichkeiten eingeschränkt sein, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Darüber hinaus werden bereits heute demokratische Prozesse durch die enorme wirtschaftliche Macht der Unternehmen, Überreichen und ihren Lobbyvereinigungen beeinflusst und die Volkssouveränität untergraben. Dies betrifft die heutige und künftige Generationen gleichermaßen.
Fazit
Eine Transformation ist also technisch möglich und finanzierbar. Es fehlt einzig am politischen Willen.
Jeder, der genauer hinschaut, erkennt, dass das kapitalistische System auf Dauer nicht funktionieren kann. Das kapitalistische System und die vorherrschende neoliberale Ideologie ist ein Glaubensgebäude.
Oder, um es mit den Worten des schmerzlich vermissten Volker Pispers zu sagen:
„Das ist ja das Tolle: Dass der Kapitalismus von einem schnöden Wirtschaftssystem längst zu einer Religion mutiert ist. Und eine Religion muss man nicht begreifen. Die muss man einfach nur Glauben.“
und
„Das ist ja das Tolle am Kapitalismus: er ist so organisiert, dass die einen dran verdienen dürfen und die anderen dran glauben müssen. Und dran glauben müssen die, die das Geld erwirtschaften müssen.“
Niemand kann sagen, dass wir nicht wissen, was wir mit unserer Wirtschaftsweise anrichten.
Die Fakten sind seit Jahrzehnten bekannt. Für uns ist es einfach nur viel bequemer, nicht zu handeln.
1Dazu habe ich bereits ausführlicher geschrieben: Der Pippo möchte über Alternativen sprechen - derpippos Webseite!
5Doku zum Thema: Oeconomia - 3sat-Mediathek
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Detlef (Mittwoch, 14 Mai 2025 13:43)
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.