Der Pippo... ist wieder in einer Gewerkschaft

Ich muss gestehen, ich war enttäuscht von den Gewerkschaften. Davon, wie zaghaft sie verhandelten. Wie oft sie nachgaben, wenn Unternehmen Drohkulissen aufbauten. Davon, wie zurückhaltend Gewerkschaften waren, wenn es um höhere Löhne ging.

Außerdem gibt es im Tischlerhandwerk wenig Betriebe mit Tarifbindung; Gehalt und Urlaubstage habe ich immer selbst ausgehandelt.

 

Doch jetzt bin ich nach vielen Jahren wieder in eine Gewerkschaft eingetreten.

Warum? Weil wir Arbeitnehmer*innen uns organisieren müssen. Wir müssen für unsere Rechte eintreten. Wir müssen sie aktiv einfordern.

Wir müssen um sie kämpfen.

 

Die Zeit der Zurückhaltung ist vorbei.

 

Die Wirtschaft ist bestens organisiert

 

Die Arbeitgeber*innen sind bestens in verschiedenen Spitzenverbänden, wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) organisiert. Dazu gibt es noch zahlreiche Branchenverbände, die die Interessen der einzelnen Wirtschaftszweige vertritt. Das sind unter anderem Verbände, wie Gesamtmetall oder der Handelsverband Deutschland (HDE). Die Arbeitgeberverbände reichen hinunter bis auf die regionale Ebene.

 

Die Arbeitgeberverbände nehmen dabei massiven Einfluss auf politische Prozesse und sind bestens vernetzt bis in die Bundesregierung. Vertreter der Verbände nehmen an Anhörungen teil, verfassen Stellungnahmen zu Gesetzen. Manchmal werden gleich ganze Gesetzestexte vorformuliert und eins zu eins von der Politik übernommen. Hier sei das Buch „Der gekaufte Staat“ von Sascha Adamek und Kim Otto empfohlen. In diesem Buch beschreiben sie, wie die Vertreter der Konzerne sich ihre Gesetze praktisch selbst schreiben und sich auch noch selbst kontrollieren1. Gerade die Union pflegt beste Kontakte zur Wirtschaft. Dort sitzen die Vertreter der Wirtschaft direkt im Parteivorstand. Und haben so aktuell direkten Zugang zur Bundesregierung2.

 

Dazu erstellen die Verbände zahlreiche Studien, Gutachten und Analysen zu wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Themen, die ihre Argumentationen und die politischen Entscheidungen untermauern sollen.

 

Auch auf die öffentliche Meinung nehmen die Verbände gezielt Einfluss. Mit scheinbar unbegrenztem Budget verbreiten sie ihre Positionen durch verschiedene Kampagnen in Print- und Onlinemedien und in den „sozialen“ Netzwerken. Diese Kampagnen sollen Druck auf politische Entscheidungsträger ausüben, die Maßnahmen beschließen wollen, die gegen Wirtschaftsinteressen sind. Ein Beispiel der jüngeren Vergangenheit war die massive Kampagne gegen das angebliche „Heizungsgesetz“ von Robert Habeck. Bei dieser Kampagne ging es ausschließlich darum, die Person Robert Habeck sowie die Partei Bündnis90/Die Grünen massiv zu beschädigen und die Ampel-Koalition zum Scheitern zu bringen. Die Wahrheit blieb dabei auf der Strecke.

 

Arbeitgebervertreter nehmen außerdem häufig an Gremien und Beiräten teil und wirken so aktiv an der Entwicklung von politischen Positionen und Gesetzen mit.

Darüber hinaus werden die Kampagnen und die politische Einflussnahme noch durch wirtschaftlichen Druck verstärkt, indem sie mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen oder ganzer Werke ins Ausland drohen, sollten politische Maßnahmen beschlossen werden, die den Interessen der Wirtschaft gegenüber stehen.

 

Und natürlich nehmen sie über Parteispenden Einfluss, indem sie neoliberale und libertäre Parteien,wie CDU/CSU, AfD und FDP unterstützen.

 

Gleichzeitig üben die Arbeitgeberorganisationen direkt und indirekt Druck auf die Arbeitnehmer*innen aus, indem sie beispielsweise für eine „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ lobbyieren, was meist einfach nur eine Schwächung von Arbeitnehmer*innen-rechten bedeutet.

Außerdem versuchen sie, Lohnerhöhungen bei Tarifverhandlungen möglichst niedrig zu halten.

 

Der Angriff auf den Wohlfahrtstaat

 

Und die ganzen Kampagnen zeigen Wirkung: der neoliberale Kapitalismus gilt mittlerweile als „alternativlos“. Dabei ist die neoliberale Ideologie seit zehn Jahren widerlegt3, wie eine Studie der Londoner Ökonomen David Hope und Julian Limberg zeigt.

Und auch Tobias Kaphegyi4 kommt in seiner Studie bereits 2017 zum Schluss, dass der Neoliberalismus nur dem reichsten Zehntel der Bevölkerung genutzt hat. Kaphegyi erkennt einen Angriff auf den Wohlfahrtstaat der Nachkriegszeit in drei Schritten:

  1. Steuersenkungen

    Damit wurden Bund, Länder und Kommunen Gelder entzogen; laut dem Ökonomen Achim Kruger kosteten die Steuersenkungen unter Gerhard Schröder allein die Bundesländer 50 Milliarden Euro. Danach konnte unter dem Schlagwort vom Diktat der leeren Kassen der Sozialstaat abgebaut werden. Verschärft wurde der Abbau noch durch die ins Grundgesetz aufgenommene Schuldenbremse, die eine Kreditaufnahme der Länder praktisch untersagte.

  2. Privatisierung

    Der Wohlfahrtstaat wurde jetzt nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt und musste auf einmal „Rendite“ bringen. So wurden nicht profitträchtige Bereiche des Wohlfahrtstaates abgewickelt bzw. waren von massiven Kürzungen und Einsparungen betroffen. Nicht profitträchtige Bereiche sind z.B. Arbeitslosenversicherung

Bildung, Pflege, Umwelt- und Klimaschutz. Außerdem wurden öffentliche Stellen massiv abgebaut.

  1. Deregulierung des Arbeitsmarktes

    Die Agenda 2010 führte zu einem riesigen Niedriglohnsektor und zu zahlreichen prekären Arbeitsverhältnissen. Auch ich selbst war längere Zeit in einem prekären Arbeitsverhältnis.

 

Die Folgen

 

Die Folgen des Neoliberalismus sind katastrophal.

Der gesellschaftliche Zusammenhalt schwindet zunehmend. Die Armut im eigentlich wohlhabenden Deutschland steigt. Der Paritätische Gesamtverband bescheinigte Deutschland bereits 2017 eine Rekordarmut. Trotz Aufschwung stieg der Anteil der Armen damals auf 15,7%. Dieser Wert hat sich seitdem kaum verändert. Heute gelten immer noch 15,5% der Menschen in Deutschland als arm. Die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung mussten einen Einkommensverlust von 8% hinnehmen. Besonders betroffen waren Alleinerziehende. Hier lag der Anteil der Armen bei 44%.

Die Einkommen der oberen zehn Prozent der Bevölkerung stiegen bis 2017 jedoch um 27%.

Wissenschaftler der Universitäten Harvard und Stanford stellten ganz Ähnliches für die USA fest.

 

Die neoliberale Ideologie führt also zu einer massiven Ungleichheit. In der Theorie der Ökonomen sollte eben diese Ungleichheit die Menschen dazu animieren, sich mehr anzustrengen. Diese Anstrengung sollte der Wirtschaft nutzen und am Ende allen zu gute kommen.

Dabei führt laut Kaphegyi die Ungleichheit aber keineswegs dazu, dass sich die Menschen mehr anstrengen, sondern bewirkte das Gegenteil. Die Ungleichheit ist eine Wachstumsbremse.

Das DIW schätzt, dass das BIP im Jahr 2015 bei gleichmäßigerer Verteilung um 50 Milliarden stärker ausgefallen wäre, als dies nach den neoliberalen Reformen tatsächlich der Fall war.

 

Das kommt daher, weil die erwirtschafteten Profite nicht denen mit Konsumbedürfnissen zugute kommen, sondern denen, die ihre Konsumbedürfnisse längst befriedigt haben – den Überreichen. Und wo werden diese Gewinne dann investiert? In Aktien, Anleihen, Hedgefonds, Rohstoffe usw. Und natürlich werden die Profite daraus ebenfalls wieder in Finanzprodukte investiert. Mittlerweile gibt es sogar Kryptowährungen als neue Investitionsmöglichkeiten für Überreiche, die nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anstellen sollen.

Nur in der Realwirtschaft kommt das Geld nicht an, weshalb ein Großteil der Bevölkerung von diesem „Vermögenszuwachs“ rein gar nichts hat.

 

Dieser Reichtum bedeutet demokratisch nicht legitimierte Macht. Diese Macht nutzen die überreichen Unternehmer*innen zur politischen Einflussnahme. Sie nutzen ihre Macht, um den Sozialstaat weiter abzubauen. Das Wort „Technologieoffenheit“ dient hierbei keineswegs dazu, Deutschland zu modernisieren. Sondern dazu, noch möglichst lange aus den alten Geschäftsmodellen Kapital zu schlagen. Die Folgen für die Gesellschaft oder die Natur spielen hier keine Rolle. Das Wort „Bürokratieabbau“ dient zum weiteren Abbau des Sozialstaats, zum Abbau von Arbeitnehmer*innenrechten, zum Abbau von Umweltregularien. Bürokratieabbau bedeutet nichts anderes, als einen völlig entfesselten Markt ohne Regeln.

 

Fazit

 

Um diesem marktradikalen Wahnsinn auf Kosten von Mensch und Natur etwas entgegensetzen zu können, brauchen wir starke Gewerkschaften. Starke Gewerkschaften sind unerlässlich zum Erhalt des Sozialstaats und unserer Demokratie.

 

Sie sind unerlässlich, um den Interessen der Konzerne etwas entgegenzusetzen. Denn die Konzerne und ihre reichen Eigentümer sind bereit, unsere Demokratie für ihren Profit zu opfern.

 

Ich jedoch nicht!

 

Wenn wir unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung behalten und die Wirtschaft demokratisieren wollen, brauchen wir die Gewerkschaften. Wenn die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft gelingen soll, muss dies sozial gerecht geschehen. Wir brauchen Sozialprogramme, Weiterbildungen, Qualifizierung und Integration. Auch dafür brauchen wir die Gewerkschaften.

 

Aus diesem Grund bin ich heute wieder eingetreten.

 

Und ich werde ein aktives Mitglied sein.

 

1„Der gekaufte Staat“ von Sascha Adamek & Kim Otto, Kiepenheuer & Witsch, Köln

2Zu den Verbindungen zwischen CDU und der Wirtschaft habe ich bereits einen Artikel verfasst: Der Pippo wundert sich... dass keiner die Verflechtungen der Wirtschaft mit den Unionsparteien hinterfragt - DER PIPPO

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Der olle Pippo (Dienstag, 20 Mai 2025 09:36)

    Ich muss dich loben. Das wurde aber auch Zeit

  • #2

    Der Pippo (Dienstag, 20 Mai 2025 09:42)

    @der olle Pippo
    Stimmt.