Der Pippo wundert sich... über die Debattenkultur in Deutschland

 

Wann genau haben wir aufgehört, inhaltlich zu debattieren? Und vor allem warum haben wir damit aufgehört?

Egal, ob bei allgemeiner Kritik am vorherrschenden Neoliberalismus, bei der Konzentration von Vermögen und Macht, ob bei Klimawandel, Umweltzerstörung oder geflüchteten Menschen: Argumente werden übergangen, Quellen ignoriert. Dafür wird ideologisch „argumentiert“, es werden Dinge behauptet, ohne sie zu belegen, es wird diffamiert.

 

Es geht scheinbar nicht mehr darum, gemeinsam Kompromisse zu finden oder Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu entwickeln, sondern nur noch darum, Recht zu behalten, selbst wenn man die eigenen Aussagen nicht mit Quellen belegen kann. Untermauert wird die eigene Ideologie mit Scheinargumenten, die allerdings selten einer genaueren Betrachtung standhalten können.

 

Und einer Lösung bringt uns das alles kein Stück näher.

 

Ich möchte das an ein paar Beispielen erläutern:

 

Beispiel 1 – Klimawandel

Deutschland alleine kann das Klima nicht retten!“

Stimmt. Blöderweise fängt niemand an, wenn alle so argumentieren. Die Chinesen zeigen auf die Amerikaner zeigen auf die Europäer zeigen auf die Chinesen. Das macht zwar keinen Sinn, aber so kann man herrlich von der eigenen Verantwortung ablenken. Aber bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir weiterhin nichts tun sollten, um den Klimawandel aufzuhalten? Ich denke nicht. Ich denke, wir sollten alles in unserer Macht stehende tun, um den Klimawandel so weit es irgendwie geht zu bremsen. Denn die Alternative wäre verheerend1. Und es wäre Selbstmord, damit solange zu warten, bis alle 195 Länder der Erde sich auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt haben.

 

Beispiel 2 – Kritik am neoliberalen Kapitalismus

Der Kommunismus ist gescheitert!“

Stimmt. Der Kommunismus passt wohl nicht zur menschlichen Natur. Aber bedeutet die Tatsache, dass der Kommunismus gescheitert ist im Umkehrschluss, dass der neoliberale Kapitalismus deshalb alternativlos ist? Bedeutet das, dass wir alle offensichtlich negativen Folgen, alle Fehlentwicklungen und alle widerlegten Theorien bis in alle Ewigkeit weiter verfolgen müssen? Oder kann man sich die Dinge des Kapitalismus, die eben nicht gut laufen, anschauen und gegebenenfalls korrigieren? Denn Dinge, die im neoliberalen Kapitalismus nicht ganz optimal laufen, gibt es einige. Es gibt zum Beispiel 17,7 Millionen Arme Menschen in Deutschland2. Das ist ein Fünftel der Bevölkerung. Sind diese Menschen wirklich alle selbst verschuldet arm? Können wir das nicht ändern? Kann man das Vermögen nicht etwas gerechter verteilen?

 

Ich möchte keineswegs alle Menschen „gleich machen“. Aber ich möchte die Menschen zumindest etwas weniger ungleich machen. Ich persönlich empfinde es als eine große Schande für ein so wohlhabendes Land wie Deutschland, dass ein Fünftel der Gesamtbevölkerung in Armut lebt. Und der Verweis auf den gescheiterten Kommunismus löst dieses Problem nicht einmal ansatzweise. Auch die Konzentration von Vermögen und die dadurch bedingte wirtschaftliche und politische Macht wird durch dieses Scheinargument nicht gelöst. Stattdessen sollten wir darüber nachdenken, wie wir es verhindern können, dass Reiche und Konzerne Einfluss nehmen auf politische Entscheidungen und Gesetzgebungsverfahren. Wir sollten darüber nachdenken, wie wir mit Parteispenden und Lobbyismus umgehen und ob wir beides nicht begrenzen sollten. Damit jede Stimme gleich viel wert ist und nicht die Stimme der Reichen mehr zählt. Wir sollten darüber nachdenken, wie wir eine funktionierende Kreislaufwirtschaft aufbauen können und wie wir schonender mit vorhandenen Ressourcen umgehen können.

 

Beispiel 3 – geflüchtete Menschen

Deutschland kann nicht alle Flüchtlinge aufnehmen!“ oder „Flüchtlinge sind gefährlich!“

Ganz egal, ob diese Aussagen stimmen oder nicht; Eine ganz grundsätzliche Frage wird hier stets ausgeklammert. Was soll mit diesen Menschen alternativ geschehen, wenn wir sie nicht aufnehmen? Sind die Länder im Süden Europas alleine für die Unterbringung und Verpflegung zuständig? Wenn ja, wie lange wird das wohl funktionieren, bis die EU zerbricht?

Sollen wir diese Menschen mit ihren Booten aufs Meer zurück schleppen? Oder verprügeln und wieder zurück über die Grenze bringen? Ohne Nahrung und Wasser? Möglicherweise im Winter? Oder sollen wir diese Menschen am besten gleich an den EU-Außengrenzen erschießen?

Wer die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnt, sollte diese Fragen beantworten können.

 

Fazit:

Es ist leicht, Vorschläge pauschal abzulehnen. Es ist auch leicht, zu behaupten, die Alternativen zum Neoliberalismus würden nicht funktionieren, weil der Kommunismus nicht funktioniert hat. Es ist leicht, beim Klima auf andere zu verweisen. Es ist auch leicht, auf den Armen herumzuhacken und ihnen „Faulheit“ zu unterstellen. Und es ist ebenfalls leicht, geflüchtete Menschen pauschal abzulehnen, weil sie gefährlich oder es zu viele seien.

 

Aber all dies löst nicht ein einziges Problem. All dies gibt nicht eine einzige Antwort auf die zu stellenden Fragen. Wer jedoch Lösungsvorschläge zur Bewältigung der Probleme pauschal ablehnt, sollte eigene Antworten auf die Fragen haben.

 

 

1Welche Auswirkungen Nichtstun hat und was wir stattdessen tun könnten, habe ich hier beschrieben: Der Pippo möchte über Alternativen sprechen - DER PIPPO

 

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